Ausgabe 4/2023

Mit Spraydosen, Pinsel, Roller und viel Farbe
für das Gute und Schöne

Diesen Sommer bemalten sie beim Pop-up Park Werft den Werftsteg. Statt in betongrau präsentiert sich dieser jetzt farbig: «Fliegende» Fische tummeln sich um ein Herz. Schon seit vielen Jahren sorgen Vero und Marco Schmid als Street-Art-Duo «QueenKong» mit ihren grossflächigen Wandgemälden für Aufsehen und Staunen.

von Fredy Zurkirchen, Redaktion

 

 

Als Marco Schmid in den 1990ern als Elfjähriger seine Faszination für das Sprayen entdeckte, ahnte er nicht, dass er drei Jahrzehnte später zusammen mit seiner Partnerin Vero als «QueenKong» zu den populärsten Street-Art-Künstlern der Schweiz gehören würde. Das Migros-Magazin widmete ihnen eine Reportage und lichtete sie auf dem Cover ab, die Tagespresse berichtet gerne über ihre neuesten Projekte, immer mal wieder standen sie vor Fernsehkameras und Radiomikrofonen und auf der Webseite von Schweiz Tourismus erzählen sie, wie die Stadt Luzern und der Pilatus ihre Arbeit inspirieren.

 

QueenKong ist vor allem für seine gross-flächigen Wandbilder bekannt, die Fassaden auf der ganzen Welt schmücken. Wie viele es genau sind, weiss Marco nicht. Vero präzisiert: «Wir haben schon mal versucht, alle zu zählen und dabei auf zirka 200 gekommen sind. Da gehören aber auch kleinere Arbeiten im öffentlichen Raum dazu. Und viele Bilder sind auch wieder verschwunden - weil Gebäude abgebrochen wurden oder weil sie der Witterung zum Opfer fielen.»

 

Im Tribschenquartier zu Hause

Viele Ideen und Konzepte für ihre Arbeiten entstehen im Tribschen-Quartier. Denn hier steht ihr Atelier. Die Tripsche Zytig hat die beiden in der Rösslimatt besucht.

Die «Containerburg» liegt leicht zurück-versetzt direkt an den Gleisen. Als wäre es Programm ist das Atelier von Queen-Kong im obersten Container untergebracht. Die Treppe führt steil nach oben. Drinnen stapeln sich Spraydosen, Pinsel, Farbeimer; neben dem Fenster steht ein Grafik-Tablet, das mal repariert werden müsste. Hier oben entstehen Skizzen und Entwürfe, werden neue Projekte besprochen. Hier realisieren Marco und Vero aber auch kleinflächigere Arbeiten. Denn QueenKong macht nicht nur grosse Wandbilder. Sie bemalen auch Leinwände und tüfteln liebend gerne mit Materialien und neuen Techniken. Im «Corona-Winter» 2021 bemalten sie sogar Schnee.

 

Marco, du bist im Tribschen aufgewachsen. Erzähl uns etwas über dich. Wie bist du zur Kunst gekommen?

Marco: Genau. Ich wuchs hier auf, ging hier zu Schule. Bereits mein Grossvater hatte seine Metallwerkstatt im Tribschen. Meine Mutter eröffnete an der Tribschenstrasse einen Coiffeursalon. Diesen gibt es heute noch. Meine Schwester Susanne übernahm den Salon 2008 und führt ihn seither als «Haarkult» weiter. Mein Vater gründete vor Jahren die Bootswerft und mein Bruder Roger arbeitet noch heute dort.

Schon als Kind war ich immer am Zeichnen und Malen. Für mich war früh klar, dass ich einen kreativen Weg einschlagen würde. Nach der obligatorischen Schule studierte ich Grafik an der Kunsti Luzern.

 

…und seit wann sprayst du?

Marco: Damit fing ich als Elfjähriger zusammen mit Kollegen an. Sprayen, Hip-Hop und Breakdance faszinierten mich. Leider gab es damals in Luzern kaum Flächen, weshalb wir auch illegal unterwegs waren und mal von der Polizei geschnappt wurden.

 

 

Vero, wie war dein Werdegang?

Vero: Ich bin in Schenkon aufgewachsen. Auch ich hatte ein kreatives Faible, wollte eigentlich auch an die Kunstschule. Es hat dann aber nicht geklappt. Wahrscheinlich gab ich zu schnell auf und glaubte zu wenig stark an mich. Nach der Schule reiste ich für drei Monate nach Amerika, um Englisch zu lernen. Nach der Rückkehr startete ich eine Verkaufslehre und bin so in der Wirtschaft gelandet, zuletzt im Produktmanagement. Das Malen war mir in meiner Freizeit sehr wichtig. Später kam noch die Fotografie dazu.

 

Wie habt ihr zusammengefunden?

Vero: Ich kannte Marcos Bruder und wusste wer er war. Anlässlich eines Festivals traf ich ihn. Er gefiel mir. Ein Jahr später waren wir ein Paar.

Marco: Wir waren etwa drei Jahre zusammen, da packte mich die Reiselust. Vero und ich hatten beide Jobs. Vero arbeitete im Aussendienst, ich war Grafiker. Nach einigem Hin und Her entschlossen wir uns 2009, Wohnung und Beruf zu kündigen und für ein Jahr auf Reisen zu gehen.

 

Wohin ging es?

Marco: Erste Station war New York und dort «5Pointz», ein ehemaliger Lager-hauskomplex in Queens und damals das Graffiti-Mekka schlechthin. Sprayer aus aller Welt reisten an, um sich dort auf den Wänden zu verewigen. Zusammen mit lokalen Jungs sprayte ich mehrere Bilder. Vero dokumentierte alles mit ihrer Kamera

Vero: Marco fragte mich mal spontan, ob ich mit ihm malen möchte. Wir malten unser erstes Bild - eine Frau mit Maske. Das funktionierte schon recht gut und es machte mega Spass. Im Hostel konnten wir ein weiteres Bild realisieren. Das ermutigte uns, weiterzumachen. Wir tingelten mit einem alten Van von der Ost- an die Westküste und runter bis nach Peru - quasi von Wand zu Wand. Im Austausch gegen Essen und Schlafen bemalten wir Wände.

 

Marco: Unglaublich, was wir dabei alles erlebten und wen wir kennenlernten. Da gab es beispielsweise Goyo, ein Geschäftsmann aus Guadalajara. Dank ihm konnten wir ein Billboard, eine dieser riesigen Werbewände entlang grosser Strassen, bemalen. Letztlich dauerte die Reise zwei Jahre statt wie geplant eines. Noch bis heute zehren wir davon, auch im kreativen Bereich: von der Kräftigkeit der Farben, der Gewissheit, dass Bilder auch mal kunterbunt sein dürfen, der Vermischung von Graffiti mit Illustrativem.

 

Entstand «QueenKong» schon auf eurer Reise und wieso dieser Name?

 Vero: Das ist noch spannend. Nachdem wir unser erstes Bild in Queens gemalt hatten, machten wir uns Gedanken über ein eigenes Synonym. Marco hatte schon eines: er war «Kong». Ich selber war schon lange der Meinung, dass jeder ein König oder eine Königin ist. Jahre bevor ich Marco kennenlernte, lies ich mir eine Krone tätowieren. Als Synthese daraus entstand «QueenKong». Und es passte zur Stadt, wo es in den Touristenläden nur so von King Kongs wimmelte.

 

 

Wie ging es nach eurer Rückkehr weiter?

Vero: Wir mussten wieder Geld verdienen und kehrten in unsere angestammten Berufe zurück. Ich arbeitete als Produktmanagerin, Marco als Markendesigner bei einer Werbeagentur.

 

Marco: In unserer Freizeit aber malten wir weiter und realisierten im Ausland auch immer wieder grossflächige Wand-projekte, beispielsweise in Aruba, Afrika oder Deutschland.

 

Ich erinnere mich an das Wandbild in der alten «Himmelrich»-Überbauung. Die Dame mit den grossen Augen und dem sinnlichen Mund faszinierte viele Luzernerinnen und Luzerner.

Vero: Ja, und viele waren traurig, als sie schliesslich den Baggern zum Opfer fiel. Das war 2015. Die abl überliess vor dem Abbruch rund 80 Wohnungen lokalen Künstlern zur kreativen Zwischennutzung Auch wir machten mit. Das Projekt endete mit einem grossen Fest. Die Bevölkerung war eingeladen, alle Arbeiten zu besichtigen. Die Aktion war ein Riesenerfolg und fand grosses mediales Echo. Davon profitierten wir. Wir wurden bekannter. Alle unsere grösseren Projekte in der Region, ob in Sursee, Stansstad, Kriens, oder auch für die Pilatus-Bahnen folgten erst später.

Ihr arbeitet heute selbständig. Könnt ihr von eurer Kunst leben?

 

Marco: Unsere Selbständigkeit basiert auf zwei Standbeinen. Nebst Urban-Art betreiben wir ein eigenes Grafik- und Design Studio. Früher finanzierten wir uns vor allem daraus. Das hat sich zwischenzeitlich etwas verschoben.

 

Ihr arbeitet selten im «stillen Kämmerlein». Ganz im Gegenteil, meist fällt ihr richtig auf? Was bedeutet das für euch?

Marco: Wenn wir in den Strassen malen, gerade auch auf Reisen, kommen die Leute automatisch mit Fragen, Anregungen oder gar konkreten Ideen auf uns zu. Normalerweise entsteht so ein spannen-der Austausch.

 

Vero: Es passierte schon, dass wir von den Passanten sogar angefeuert werden, wie bei unserem Wandbild an der alten Kehrrichtverbrennungsanlage. Wir malten dort fast über der Autobahn und wurden immer wieder von Autos freund-lich angehupt. Beim Schwan in Sursee kritisierte ein Passant, dass wir anstelle eines Schwans lieber einen Leoparden hätten malen sollen. Wir begegnen auch Menschen, die eine graue Betonwand besser mögen als unsere Kunstwerke. Auf solche Reaktionen und Gespräche lassen wir und gerne ein und wir nehmen die Meinungen der Leute ernst. Das ist das Schöne beim Arbeiten im öffentlichen Raum: Man wird ein Teil des örtlichen Lebens.

 

Marco: Wir empfinden bei Arbeiten im öffentlichen Raum auch eine gewisse Verantwortung. Für uns muss ein Bild stimmig und der Situation angepasst sein. Wir sind keine «Schock-Maler», die hauptsächlich provozieren wollen.

 

Welche Botschaft tragen eure Bilder? 

Vero: Es gibt so viel Negatives auf der Welt. Unsere Bilder wollen deshalb das Schöne und Gute zum Ausdruck bringen. Liebe und ein offenes Herz ist eine universelle Sprache, die überall funktioniert. In jedem unserer Bilder tauchen Symbole auf, die uns wichtig sind, oder sie beziehen sich auf eigene Gedanken und Ge-schichten: unsere Tochter, das Herz, die Krone, der Regenbogen, alle meist sehr subtil.

 

 

Marco: Einige unserer Motive tragen Wrestling-Masken. Dazu wurden wir auf unserer Reise in Mexico inspiriert. El-Santo war ein erfolgreicher mexikanischer Luchador-Wrestler, der zeitlebens gegen Korruption und für die Armen kämpfte und so Heldenstatus erlangte. Er trug seine Maske auch privat. Unsere Masken sind davon inspiriert und stehen in unseren Werken für den Kampf für das Gute.

 

Ihr malt eure Bilder gemeinsam. Wie klappt die Zusammenarbeit? Teilt ihr ein Bild auf, oder hat jeder seine Spezialitäten?

Vero: Normalerweise skizzieren oder malen wir unsere Bilder zunächst gemeinsam in klein. Wenn wir dann an eine Wand herangehen, ist vieles zwischen uns schon abgesprochen.

 

Marco: Früher war es so, dass Vero eher mit Roller und Pinsel und ich mit der Spraydose malte. Mittlerweile hat sich das völlig durchmischt.

 

Vero: Genau, … ich male auch immer mal wieder über die von Marco gestalteten Elemente drüber und er natürlich über meine. Beim fertigen Bild lassen sich die einzelnen Partien kaum mehr Marco oder mir zuordnen.

 

Und das funktioniert?

Marco: Bisher schon.

 

Vero: Auf unserer zweijährigen Reise haben wir mega viele Techniken ausprobiert, wie wir uns gegenseitig nicht auf die Nerven gehen. Davon profitieren wir.

Marco: Alle unsere Werke sind eine Teamarbeit. Würden Vero und ich anders zusammenarbeiten, dann wäre auch das Resultat ein anderes. Und dann wäre es nicht mehr QueenKong.

 

Wie kriegt ihr das mit den Proportionen hin? Meist steht ihr ja sehr nahe an der Wand und habt keinen Über-blick über das ganze Motiv.

Vero: Es gibt da in der Szene verschiedenne Techniken. Einige legen über Skizze und Wand ein minutiöses Raster, andere setzten auch mal einen Beamer ein. Wir verzichten darauf.

 

Marco: Mein Raster ist hauptsächlich in meinem Kopf, und ich orientiere mich an baulichen Merkmalen, bspw. Fenstern. An der Wand zeichne ich mit einer hellen Farbe Linien oder Anhaltspunkte vor. Immer wieder gehe ich runter, visualisiere alles neu, führe die Linien im Kopf weiter und merke mir die Proportionen und das Volumen, bevor ich dann wieder an die Wand gehe und mit der Skizzierung weitermache.

 

Vero: Marco scheint in seinem Kopf gros-se Speicherplatten zu besitzen, die ihn ein Motiv visualisieren und dann an der Wand skizzieren lassen. In der Regel ist er es, der die Positionierung festmacht. Ich stehe oft unten und informiere ihn auch mal per Telefon, wenn etwas mehr nach rechts oder links sollte.

 

Marco: Ja, das Freihandmalen und Linien-ziehen liegt mir. Ich habe wie ein Gefühl dafür.

 

Gibt es Orte im Tribschen, die ihr gerne «verschönern» möchtet?

Marco: Ja unbedingt. Beispielsweise die Fassade auf der Rückseite des Gebäudes, in dem sich das Ristorante Prizzi befindet.

 

Vero: …oder die Langensandbrücke.

 

Marco: Im Ernst, es wäre schon cool, hier im Tribschen-Quartier ein «Heimat-Bild» zu realisieren; eine Fassade, die man frei bemalen könnte.

 

Habe ich etwas vergessen?

Beide: Wir freuen uns gerade sehr über das bisher grösste Kunstwerk, welches wir je erstellen durften: Ein 13-Stöckiger Hotel-Neubau in Hamburg, mit einer Fassadenfläche von 3600m2 Quadratmetern, das von uns gestaltet wurde. 

 

Wer mehr und aktuelles über QueenKong erfahren möchte, der besucht die beiden am besten auf deren Homepage.

 

www.queenkong.ch