Ausgabe 1/2023 |
Vom Quartier-Schandfleck zum nostalgischen Blick in die Vergangenheit |
«Odermatt Pneu & Service» ist eine der letzten Baracken im boomenden Tripsche Quartier. Was früher Lebensunterhalt war, ist heute fast Liebhaberei. Wie lange noch? |
von Arnhild Walz-Rasilier, Redaktion
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Seit vielen Jahren laufe ich an den «Odermatt Pneu & Services» Werkstätten vorbei und bewundere die herrlich entspannte Atmosphäre mit stets aufgestellten Kollegen, nicht selten in gemütlicher Runde. Fast hätte man den Eindruck hier gehen Freunde ihrem Hobby nach. Als ich um ein Interview bat, hiess es: «Hier bleiben viele Passanten stehen und schauen neugierig in die Werkstätten.» Kein Wunder liegen diese doch auf dem Weg zur Langensandbrücke am Rösslimattweg 6 und wirken wie Zeugen einer vergangenen Zeit. Besonders bei sommerlichen Temperaturen mit Grill vor der Bikerwerkstatt und Oldtimer vor den Türen.
Herr Odermatt, Ihnen gehören die Baracken auf dem SBB Areal. Seit wann gibt es diese ?
Erwin Odermatt: Mein Grossvater hätte das Areal vor etwa 80 Jahren für seinerzeit 50 Rappen pro Quadratmeter kaufen können. Damals war das für dieses Land fast ein Wucherpreis. Der Boden war wässrig und niemand glaubte, dass in diesem Quartier jemals Häuser gebaut werden können. Er machte Motorrevisionen und hatte Lastwagen in der Baracke stehen. Das heutige Abstellgleis der SBB gab es damals noch nicht. Er hat die Baracken mit Unterstützung der Familie in Eigenarbeit erstellt und dabei auf alles zurückgegriffen, was er finden konnte. Hier wurden Ziegel aus abgerissenen Häusern in der Altstadt und Blech aus der Nachbarschaft verbaut.
«Ich habe noch Zeitungsausschnitte in denen die Baracken als Schandfleck der Stadt bezeichnet wurden. »
Als Firmenzweck wird Instandhaltung und Reparatur von Motorfahrzeugen sowie Handel mit diesen angegeben. Woran arbeiten Sie gerade?
Erwin Odermatt: Als Sie letzte Woche nach dem Termin anfragten war ich mit dem Wechseln von Sommerpneus ausgelastet. Heute feiern wir die bestandene MFK-Untersuchung eines Oldtimers, bei dem wir in mehr als 30-stündiger Kleinarbeit das defekte und nicht mehr erhältliche Türschloss minutiös ausbauen und reparieren konnten. Eine wahre Freude dieses Bijou wieder auf die Strasse zu bringen.
Freude und Stolz sind nicht zu verkennen. Wie viele Leute beschäftigen Sie?
Erwin Odermatt: Ich habe keine Angestellten. Wir sind 4-5 Kollegen: passionierte Pensionierte, Schrauber, Helfer und jeder verfügt über andere Fertigkeiten. Es ist in der Tat etwas Nostalgie dabei. Wissen Sie, als ich ein Bub war gab es gegenüber eine Autospenglerei und mein Moped durfte ich in der Malerei nebenan selbst dekorieren. Ich hatte hier eine herrliche Jugend, in der es viel Platz zur Selbstentfaltung aber kaum Verbote gab.
Im hinteren Teil der Baracken steht «Motorbikes». Was hat dies auf sich?
Erwin Odermatt: Ein Geschäftsmann und gleichzeitig Automechaniker hat sich hier eingemietet und geht seinem Hobby nach, in dem er 30jährige Bikes kauft, restauriert und wieder verkauft. Er hat sich auf Oldtimer spezialisiert und hilft nebenbei die Miete für das Areal zu bezahlen.
Was denken Sie, wie lange Ihre Baracken noch stehen bleiben?
Erwin Odermatt: Ewig werden Sie sicher nicht bleiben. Der Bauplan für Büros und wenige Wohnungen im Dachgeschoss liegt schon vor. Dabei hat die Stadt uns in allen Schritten mit eingebunden. Durch die Pandemie und die vielen Neubauten auch hier im Quartier gibt es jedoch eher Büroleerstand. Wissen Sie: «Schon vor 70 Jahren sagte die SBB dem Grossvater, sie brauche demnächst das Areal.» Ausserdem haben wir das Glück, dass der Boden der SBB gehört und nicht wie bei «Michel Cars» gegenüber der Stadt. Der neue Pächter hat bereits die Kündigung erhalten und muss Ende Jahr weichen. Hier wird verbreitert und ein Veloweg angelegt.
Was würden Sie sich wünschen?
Erwin Odermatt: Ich bin im Quartier verwurzelt und hoffe, dass es mit den Baracken noch fünf bis zehn Jahre weiter geht. Wir alle hier wünschen uns, dass es hier auch in Zukunft bezahlbaren Wohn- und Gewerberaum geben wird.