Ausgabe 2/2023

Besuch des Kinderparlaments im Treibhaus

 

Aktuell 89 Mitglieder zählt das Kinderparlament der Stadt Luzern. Im Februar 

traf es sich zur Frühjahrssession im Treibhaus. Wer ist diese Institution, 

die dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum feiert?

 

von Fredy Zurkirchen

 

 

Wichtigste Traktanden der Frühjahrssitzung: Verabschiedung der Jahresrechnung und des Budgets, Jubiläumsfest, Übergabe des «Goldenen Lollipop» und der «Sauren Zitrone». Mit diesen Preisen zeichnet das Kinderparlament jährlich Personen oder Organisationen aus, die diesem als besonders kinderfreundlich oder eben kinderfeindlich aufgefallen sind.

 

Pünktlich um 14 Uhr eröffnet Lorena im Treibhaussaal die Sitzung. Knapp 70 Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind anwesend. Zusammen mit Mattis leitet sie als Co-Präsidentin die Sessionen. «Bitte Ruhe im Saal!». Souverän begrüsst sie die anwesenden Gäste namentlich: Nebst einigen Göttis und Gotten vom Grossen Stadtrat sind das die Vertreter vom Verkehrshaus inklusiv Direktor Martin Bütikofer. Sie werden später den «Goldenen Lollipop 2022» in Empfang nehmen dürfen. Begrüsst wer-den auch das Redaktionsteam von Swissinfo, Virginia, die Fotografin, - und ich von der Tripsche Zytig. «Wir konnten Herrn Alpstaeg leider nicht erreichen.» 

 

 

Fehlen tut einzig Bernhard Alpstaeg. Ihm verlieh das Kinderparlament in der Herbstsitzung die «Saure Zitrone» Die Kinder befürchten, dass Herr Alpstaeg zu viel Macht hat und sorgen sich um die Zukunft des FC Luzern. «Leider konnten wir Herrn Alpstaeg nicht erreichen», informiert Lorena ihre Ratskolleginnen. Dann erinnert sie an einige wichtige Spielregeln: «Sprechen tut nur, wer unser Maskottchen «Coco» (ein Stoffaffe) in den Händen hält, und die Handys bleiben in der Hosentasche».

 

«Auf das Herumreichen des Stoffaffen verzichten wir mittlerweile, das wurde zu umständlich», erklärt mir Samia Baghdadi. «Stattdessen meldet man sich durch Aufstrecken der orangen Karte mit dem «Coco»-Symbol.» Samia Baghdadi leitet bei der Stadt das Sekretariat des Kinder- und Jugendparlaments. Zusammen mit ihrer Kollegin Janina begleitet sie die Sitzung. «Unsere Aufgabe entspricht der einer Kanzlei», meint sie. «Wir unterstützen das Parlament und ihre Arbeitsgruppen und wirken als Scharnier zu internen und externen Stellen.» Auch heute spielen die beiden eine aktive Rolle: Sie greifen ins Geschehen ein, wenn es Erklärungsbedarf gibt und entknoten die eine oder andere verworrene Situation «Wir weisen die Parlamentsmitglieder auch auf die Konsequenzen von Entscheidungen oder Umsetzungschancen hin. In die Abstimmungen selbst greifen wir aber nicht ein».

 

Das Pionierprojekt wird 30 Jahre alt

Am 20. November 1993 wurde vom ehemaligen Kinderbeauftragten Walti Mathis die erste Session mit Kindern der Stadt Luzern einberufen. Die Gründung des schweizweit ersten Kinderparlaments war in den 90er Jahren eine Pionier-tat, die der Stadt Luzern viel mediale Aufmerksamkeit bescherte. 1998 be-suchte gar Hillary Clinton eine Session. Mittlerweile ist das Kinderparlament, gemeinsam mit dem später gegründeten Jugendparlament, eine gestandene Institution.

 

Jährlich 20'000 Franken erhält das Kinderparlament von der Stadt zur selb-ständigen Verwendung. Die Kinderparlamentarier haben das Recht, Mitglieder des Stadtrates oder Kadermitglieder der städtischen Verwaltung zu ihren Sitzungen einzuladen und von ihnen Auskunft zu verlangen. Einmal pro Jahr treffen sich Delegationen zum Austausch mit den Ansprechpersonen aus den Direktionen. Stadtparlamentarierinnen aus den verschiedenen Parteien stellen sich als «Göttis» und «Gottis» zur Verfügung. Sie werden an die Sessionen eingeladen und diskutieren über akutelle Themen. Ganz entscheidend: Das Kinderparla-ment kann Vorstösse an die Stadtregie-rung richten, sofern eine Mehrheit von mindestens 25 anwesenden Mitgliedern dafür stimmt. Da haben sie die gleichen Recht, wie jeder Grossstadtrat.

 

«Ein festes Budget und politische Kompetenzen sind unser stärkstes Mittel.»

Ein solches Postulat aus dem Kinderparlaments hat bewirkt, dass ab Sommer 2023 alle Kinder und Jugendlichen – vorerst beschränkt auf drei Jahre - Gut-scheine von CHF 300 Franken für den Kauf von Bus- und Bahntickets der Tarifzone 10 erhalten werden. Kostenpunkt knapp fünf Millionen Franken. «Das war ein riesiger Einzelerfolg», freut sich Samia Baghdadi. «Aber am wichtigsten ist, dass das Kipa in den politischen Prozess der Stadt integriert ist und so die Kinderinteressen bei der gesellschaftlichen Gestaltung der Stadt einfliessen.» 

 

«Die Knochenarbeit findet ausserhalb der Sessionen statt.»

Rund die Hälfte der Kinder engagiert sich zudem in Kommissionen bzw. Arbeits-gruppen. Jeweils am Mittwochnachmittag trifft man sich im Kinderbüro am Kasernenplatz und arbeitet an den Projekten. Die Kiz-Reporterinnen recherchieren, schreiben und gestalten den Kiz-Blitz. Das Bauteam widmet sich dem Thema kinderfreundliches Bauen und Renovieren. Die Stadtdetektive forschen, testen und klären ab, was man in der Stadt Luzern in Sachen Kinderfreundlichkeit verbessern kann. Und das Finanzteam kontrolliert und budgetiert die Einnahmen und Ausgaben des Kinderparlaments. Ein wichtiges Gremium ist die Elefantenrunde. Sie setzt sich aus den Gruppenleitungen, dem Co-Präsidium und den drei ältesten Parlamentsmitgliedern zusammen. «Im Dialog mit dieser entstehen die meisten Inputs», sagt Samia Baghdadi. Sie ist der Motor des Kinderparlaments. Hier werden auch die Sessionen inhaltlich vorbereitet. 

 

Mitmachen kann jedes Kind im Alter von 8 bis 14, das in der Stadt Luzern wohnt. Das Parlament ist beliebt. Die Zahl der Mitwirkenden ist in den letzten Jahren kräftig gewachsen. «Noch können wir das stemmen». Hält die Entwicklung aber an, stossen in Sachen Raum, Sicherheit und Ressourcen langsam an Grenzen.»

 

 

Zurück im Parlamentsbetrieb

Gerade läuft die Debatte zum 30-Jahr-Jubiläum: Jubiläumsfest statt Herbstsession? Konzert oder Disco? «Ich finde eine Band eine gute Idee; Musik können wir überall hören, eine richtige Band aber erleben wir nur selten.» «Wenn eine Band, dann soll es aber auch eine richtig bekannte sein!», «Denkt doch bitte auch an die Kosten!», «Genau, und wenn wir einen Star aus den USA engagieren, produziert das wieder CO2.» Dann wird abgestimmt: Die Herbstsession findet normal statt. Das Jubiläumsfest – mit Konzert - wird separat terminiert. Wenig später wird auch das Budget verabschiedet - einstimmig. Für Jubiläumsaktivitäten ist ein Betrag von CHF 2'000 reserviert. Das dürfte für Beyoncé oder Ed Sheeran - beide Namen fielen während der Diskussion - kaum reichen! 

 

Nächstmals trifft sich das Parlament im Mai zur Session, dann im Grossratssaal des Rathauses. Damit geht für Samia Baghdadi ein langer Wunsch in Erfüllung. Wieder werden Lorena und Mattis die Session leiten - Mattis zum letzten Mal. Nach zwei Jahren endet seine Amtszeit als Co-Präsident. «Ein bisschen traurig bin ich schon, aber es ist auch okay. Die Kinder haben beschlossen, dass nach zwei Jahren Schluss ist.», meint er. Lorena will für ein zweites Amtsjahr kandidieren. «Ich mag diese Aufgabe. Es ist schön, etwas sagen und beeinflussen zu können». 

 

Sprungbrett für Politikkarriere

 

Beim Verlassen des Treibhauses fällt mir ein Flipchart mit Kommentaren zum Kinderparlament auf. Unter anderen Punkten steht, «Politkarriere starten». Ob sich dahinter ein zukünftiger Politik-star verbirgt? Gut möglich. Einige be-kannte Erwachsenenpolitiker haben ihre Sporen im Kipa verdient. David Roth, heute Präsident der SP Luzern, oder Maurus Zeier, freisinniger Luzerner Kantonsrat, sind zwei aktuelle Beispiele dafür.