Ausgabe 1/2023

Beschwingt durchs Leben tanzen.

von Regula Hasler

 

Es sind 39 Stufen bis zu ihrer Wohnung am Imfangring. Einen Lift hat es keinen. Den braucht die 95-jährige Elisabeth Lammer auch gar nicht. Denn sie ist mit Körper und Geist beweglich geblieben. 

 

Liebe Elisabeth, wie bist du aufgewach-sen, vor fast einem Jahrhundert? 

Geboren bin ich 1927 in Schwyz als älteste von fünf Geschwistern. Mein Leben fing turbulent an, denn kurz nach meiner Geburt erkrankte die Mutter so schwer, dass ich für fünf Monate den Eltern des Vaters in Einsiedeln zur Pflege übergeben wurde.

 

Mein Mädchenname war Bachofen. In die Primarschule ging ich in Schwyz, aber die Sekundarschule besuchte ich im Theresianum Ingenbohl, da dort trotz des Zweiten Weltkrieges noch ein geregelter Unterricht angeboten wurde. Die Sprachen haben es mir besonders angetan, und ich lernte mit Interesse Hochdeutsch, Französisch und von italienischen Flüchtlingen auch Italienisch. Da ich ein kontaktfreudiger Mensch bin, brauche ich die Fremdsprachen heute noch gerne. 

 

 

In der Freizeit war ich mit Begeisterung bei der Pfadi als Wölfli Führerin. Zudem spielte ich Theater oder ging mit Freunden berg-steigen. Mein Berufswunsch war das Schneidern von Paramenten (das sind kirchliche Kleider wie Messgewänder und Chorkleider). Zuerst erlernte ich die Fertigung dieser ehrwürdigen Gewänder im Kloster St. Klara in Stans und arbeitete dann an der Kunstgewerbeschule Luzern in der Abteilung «Paramente».

 

Wie hast du deinen Mann Engelbert Lammer kennen gelernt?

An der Fasnacht 1951 ging ich mit anderen jungen Frauen im Hotel Union tanzen und traf da einen jungen Lammer. Sofort fiel mir auf, dass er ein guter Tänzer war. Er bemühte sich um mich. Was mir auch Eindruck machte, war seine tiefe Spiritualität - er wollte Jahre zuvor sogar Priester werden. Ein Jahr nach dem Kennenlernen heirateten wir.

 

Es war damals klar, dass die Frau nach der Heirat aufhörte, ausser Haus zu arbeiten. Es ging nun darum, den Haushalt zu führen und hoffentlich Kinder zu bekommen. Meine Mutter hatte mir schon früh mitgegeben, dass die Frau sich zurückstellen und dem Manne unterordnen solle. Ich sah das schon etwas anders, aber es hat mich halt doch geprägt.

 

Wie hast du denn das gesehen?

Ich wünschte mir mehr eine kameradschaftliche Verbindung auf Augenhöhe. Dies habe ich auf unseren schönen gemeinsamen Reisen so erlebt. Im Alltag haben dann zum Teil auch die damaligen Rollenvorstellungen von Mann und Frau gewirkt. Mit den vier Kindern, die wir bekommen durften, hatte ich ja auch alle Hände voll zu tun.

Zuerst wohnten wir im Maihof und dann an der Elfenaustrasse im Sternmatt-Quartier. Nach einigen Jahren in Buochs zogen wir 1993 an den Imfangring im Langensand-Quartier.

 

Mein Mann Engelbert war zunächst für Caritas Schweiz tätig und übernahm dort auch Auslandeinsätze in unseren vom 2. Weltkrieg gezeichneten Nachbarländern. 40 Jahre lang arbeitete er für die Krankenkasse CSS und war schweizweit für Kollektivverträge, Werbung und Betreuung von Sektionen verantwortlich.

 

Während 12 Jahren politisierte er im Grossen Stadtrat und präsidierte diesen 1962/63. Mit Freude und Stolz nahm ich an den damit verbundenen gesellschaftlichen Aktivitäten teil. Nach seiner Pensionierung haben wir jahrelang intensiv, oft bis weit in die Nacht hinein, Briefmarken gesammelt und diese für den Handel aufbereitet. Über die Jahre sind so etliche Tonnen zusammengekommen. Der Erlös ging vollumfänglich an christliche Missionen in aller Welt.

 

Letztes Jahr wäre mein Mann 100 Jahre alt geworden. Er ist vor 10 Jahren gestorben, nachdem ich ihn ein strenges Jahr lang mit Hilfe der Spitex zu Hause gepflegt hatte. Wir waren 60 Jahre lang verheiratet und hatten ein gutes gemeinsames Leben

Nach seinem Tod wuchs ich in eine neue Selbstständigkeit hinein und entdeckte neue Lebensqualitäten. Ich pflege viele Kontakte, nehme rege am Pfarreileben teil, gehe gerne in die Stadt und reiste zweimal mit den Baldegger-Schwestern nach Assisi.

 

Welches Verhältnis hast du zu deinem Namen, Elisabeth?

Die Heilige Elisabeth beeindruckte mich immer. Auch meine Mutter und meine Grossmutter hiessen Elisabeth. Unseren Namenstag, den 19. November, haben wir immer mit feinen Vermicelles gefeiert. Auch bin ich Queen Elisabeth II. 1949, vier Jahre vor ihrer Krönung, persönlich begegnet. Dies anlässlich eines Auftrittes mit der Schweizerischen Folklore Union - bei der ich als Tänzerin der Nidwaldner Trachtentanz-gruppe mitmachte - im Buckingham-Palast!

 

Was freute und freut dich besonders in deinem Leben?

Die grösste Freude für mich ist meine Familie. Ich habe es gut mit meinen vier Kindern, deren Partnerinnen und Partnern, neun Enkelkindern und sieben Urenkeln. Sehr schöne Kontakte habe ich auch zu meinen betagten Geschwistern, die alle noch leben und rüstig sind.

 

Die wunderbaren Reisen mit meinem Mann sind mir noch in bester Erinnerung. Viel bedeutet haben mir die Aufenthalte in Rom, wo wir auch die Ehre einer Privataudienz bei Papst Pius XII. hatten, und in Assisi. Wanderferien auf der dänischen Insel Bornholm und Flussfahrten auf dem Rhein haben wir sehr genossen. Auch die Reise in die Toskana mit Tochter und Schwiegersohn vor fünf Jahren war sehr erfüllend.

Gerne erinnere ich mich an die Aufenthalte in unserem Ferienhaus Casa Maria, einem 200 Jahr alten Tessiner Haus in Cugnasco, 1980-1997. Zur Einrichtung hat mir mein Mann freie Hand gelassen, was mich sehr gefreut hatte. In der Casa Maria habe ich unzählige glückliche Tage verbracht. Die italienische Lebensart, die Kontakte zu den Tessiner Nachbarn, die ich heute noch pflege, sowie die vielen Besuche von Familienangehörigen und Freunden waren für mich von unschätzbarem Wert.

 

Wie gehst du mit dem Altern um?

In unseren Quartieren Tribschen-Langensand und Sternmatt, insbesondere in den Pfarreien St. Anton - St. Michael gibt es zum Glück so viele gute Angebote für ältere und alte Menschen. Mir ist es wohl hier und ich habe guten Kontakt zu meinen Nachbarinnen. Mit einigen von ihnen gehe ich regelmässig spazieren.

 

Oft bin ich im St. Anton am Mittagstisch anzutreffen. Fast vier Jahre lang habe ich als über 90-jährige beim Angebot «Tanzen beflügelt» mitgemacht, denn ich tanze sehr gerne. Da konnte ich mit einem Augen-zwinkern Schlager aus den goldenen 20er Jahren wünschen wie «Oh Donna Clara» oder «Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt». Auch mit meinem Mann ging ich früher oft tanzen. Klar, ich bin noch beweglich und kann mich sogar noch bücken (macht es vor). Ich habe einfach nie damit aufgehört.

 

Zudem bin ich kontaktfreudig und interessiere mich für die Menschen. Wenn ich zum Beispiel höre, dass jemand einen Schwyzer Dialekt hat, spreche ich diese Person gerne an. Vor kurzem habe ich eine neue Freundin gefunden, weil ich sie einfach auf der Strasse angesprochen habe. Vorher hatte ich diese Frau nur manchmal an Veranstaltungen von Ferne gesehen. Ich probiere es einfach und lerne so immer noch spannende neue Leute kennen.

 

Zum Thema Altern halte ich mich an folgendes Motto: «Läbe-n-isch scheen und Stärbe niit Truirigs». Das ist ein Buchtitel des Nidwaldner Mundart-Autors Felix Stöckli.

 

Reich beschenkt von diesem Austausch mit Elisabeth, die noch in ihrem hohen Alter eine solche Lebendigkeit und einen feinen Humor ausstrahlt, steige ich wieder die 39 Stufen hinunter. Dabei denke ich: so möchte ich auch gerne Altern: beschwingt, mit beweglichem Körper und Geist.