Ausgabe 4/2022

60 Jahre Wärchbrogg; Eine Erfolgsgeschichte der Integration

von Fredy Zurkirchen

Mitten im Tribschenquartier ist die Wärchbrogg zuhause. Die soziale Institution bietet Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung geschützte Arbeitsplätze. Dieses Jahr feiert sie ihr 60-jähriges Bestehen.

 

Auch wenn Sie noch nie im Wärchbrogg-Laden eingekauft oder im Restaurant am Alpenquai gegessen haben: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit einer Dienstleistung der Wärchbrogg in Kontakt gekommen sind, ist gross. Für die Stadt Luzern konfektionieren die Mitarbeitenden des Sozialunternehmens die grauen Wahl- und Stimmrechtscouverts, die vor Abstimmungen und Wahlen jeweils in unsere Briefkästen flattern. Das ist nur ein Beispiel von vielfältigen Arbeiten, welche die Wärchbrogg erledigt.

 

Eindrückliche Geschichte

Auf Initiative von Gertrud Schreiber, damals Sozialarbeiterin bei der Pfarrei St. Leodegar, begannen 1962 vier betagte Frauen im Konferenzzimmer des Pfarrhauses St. Leodegar mit der Herstellung von Weihnachtsschmuck. So wollte man etwas gegen die Altersarmut tun. Das Projekt war erfolgreich. Wenig Jahre später übernahm die Vorgängerorganisation der Pro Senectute das Patronat. Nach mehreren Standortwechseln zog man 1983 ins Tribschen-Quartier. Zusammen mit der Stiftung Brändi konnte man an der Werkhofstrasse die ehemaligen Räume der Cartonnage Fabrik AG übernehmen. Fortan nannte man sich «Geschützte Werkstätte Tribschen».

 

Wichtige Stütze für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung.

Seither hat der Verein sein Angebot ständig ausgebaut und sich Schritt für Schritt zur heutigen Wärchbrogg weiterentwickelt - einem modernen, professionellen Sozialunternehmen und festen Bestandteil des sozialen Netzes unserer Region.

 

Der Fokus der Wärchbrogg liegt auf der beruflichen und somit sozialen Integration von Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. Geschützte Arbeits- und Ausbildungsplätze ermöglichen diesen eine Tagesstruktur, sinnstiftende Tätigkeiten und eine Zukunftsperspektive. Dafür werden am Alpenquai Werkstätten und Büros und seit 2014 ein Restaurant und ein Bio-Quartierladen betrieben. Dazu kommen ein Lebensmittelgeschäft an der Baselstrasse, das Bistro in der Zentralbibliothek, ein Liefer- und Logistikservice und – seit März neu – das Selbstbedienungsbistro im KV-Berufsbildungszentrum Landenberg. «Nach dem Rückzug des bisherigen Anbieters wurden wir vom KV angefragt, diese Dienstleistung zu übernehmen», sagt Norbert Bucheli, Geschäftsleiter der Wärchbrogg. «Seither bieten wir dort für die Berufsschüler und Studierenden Mittagsmenus und abends frische Speisen und Snacks aus unseren Food-Automaten an. So können wir Synergien mit unserem Restaurant am Alpenquai nutzen.»

 

Aktuell beschäftigt die Wärchbrogg rund 140 Mitarbeitende. Da die meisten mit reduzierten Pensen arbeiten, entspricht das in etwas 90 Vollzeitstellen. Dazu kommen 40 Fachpersonen inklusiv 11 Arbeitsagogen, die die Mitarbeitenden unterstützen und betreuen. «Voraussetzung für eine Beschäftigung bei uns ist, dass der oder die Betreffende eine IV-Rente bezieht. Ansonsten läuft der Bewerbungsprozess ähnlich wie im ‘freien’ Arbeitsmarkt ab,» erklärt Norbert Bucheli.

 

Leistungsauftrag vom Kanton

Gut die Hälfte der Einnahmen kommen vom Kanton, mit dem ein sozialer Leistungsvertrag besteht. Die restlichen 50 Prozent erwirtschaftet die Wärchbrogg aus eigener Kraft «Etwas über dreieinhalb Millionen setzen wir mit unseren Produkten und Dienstleistungen um, wobei die drei Bereiche Restauration, Detailhandel und Werkstatt in etwa zu gleichen Teilen dazu beitragen. Spenden sind vor allem bei der Finanzierung von Investitionen wichtig.»

 

Nebst Auftragsarbeiten für die Industrie und öffentliche Einrichtungen stellen die Mitarbeitenden in der Werkstatt auch eigene Produkte her. Bekannt sind die Chlaus- und Ostersäckli, die hier in unterschiedlichen Designs und Grössen produziert werden – aber auch die handgefertigten Grusskarten für Firmen und Private. «Vor allem dank hoher Qualität und termingerechter Abwicklung konnte sich die Wärchbrogg bei den Unternehmen einen sehr guten Ruf erarbeiten», meint Norbert Bucheli. «Davon profitieren wir sehr.»

In der Gastronomie und den Läden setzt man stark auf regionale und biologische Produkte. Besonders konsequent passiert das im Markt Wärchbrogg Alpenquai «Bei den Bio-Produkten können wir einigermassen mit den Preisen der Grossverteiler mithalten. Mit konventionellen Lebensmitteln hätten wir keine Chance. Während Corona profitierten wir von stark steigenden Umsätzen. Dieser ‘Schub’ ist aber mittlerweile wieder vorbei. Weiterhin gut läuft das Geschäft mit der Abfüllerei, die Käsetheke und unsere Take-Away-Produkte, die täglich frisch in der Küche produziert werden. Bei uns kaufen vor allem Leute ein, die viel Wert auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung legen und das sehr persönliche Ambiente in unseren Lokalen schätzen - und die sich dieses Erlebnis leisten und damit unsere soziale Arbeit unterstützen wollen. Da hilft unser Standort in einem urbanen, sich stark entwickelnden Quartier.»

 

Konkurrenziert die Wärchbrogg durch öffentliche Gelder nicht auch lokales Gewerbe? Norbert Bucheli verneint: «Bei der Entwicklung von neuen Geschäftsideen gehen wir sehr selektiv vor und tragen diesem Aspekt Rechnung. Zudem habe ich diesbezüglich seit ich hier arbeite noch keine einzige Reklamation eines Unternehmers erhalten.»

 

Übrigens, am 10 September hatte das Publikum die Möglichkeit, die verschiedenen Betriebe der Wärchbrogg kennenzulernen. Die Wärchbrogg öffnete anlässlich des 60-jährigen Bestehens ihre Türen. Das Angebot wurde denn auch rege genutzt.